"La Strada" 2015

  Von 31. Juli bis 8. August 2015 ging in Graz zum 18. Mal das internationale Festival für Straßenkunst und Figurentheater - "La Strada" - über die Bühne.

(Texte © by "LaStrada, Graz")

"cuisine & confessions"
 

the 7 fingers (ca)

  Der Geruch von selbstgebackenen Keksen. Der Geschmack von frischem Basilikum. Der Duft von dampfendem Kaffee. In der großen Gemeinschaftsküche von "The 7 Fingers" ist auch Platz für Geschichten über Liebe, Kindheit, Verlust und Missgeschicke. Wie bei jedem guten Gericht braucht es auch bei dieser Cirque Nouveau-Produktion viele Ingredienzien: die Künstler, Schauspieler und Artisten erzählen von ihren Lebenswegen, Träumen, Erlebnissen und Wurzeln in akrobatischen Höhenflügen, mit eigens arrangierter Musik und in stillen Momenten. Erinnerst du dich noch? Wie fühlt es sich an, wenn man sich als kleines Mädchen den Kuchenteig von den Fingern schleckt? Was, wenn der Familienvater in der Zeit der Militärdiktatur beim Familienessen verhaftet wird? Und wie riecht das beste Omelette der Welt? Nächtliche Küchengespräche über die Dinge, die die Welt wirklich bewegen - die kanadischen Ausnahmekünstler, die international zu den erfindungsreichsten Zirkuscompagnien der Gegenwart gehören, teilen mit dem Grazer Publikum ihre Geschichten, Erinnerungen und vielleicht noch etwas mehr.

"su-seso taladro"
 

murmuyo (chi)

  Auf die öffentliche Ordnung in der Stadt kommen schwere Zeiten zu: Murmuyo und Metrayeta sind dafür bekannt, furchtlos die Straße zu erobern und Regeln provokant außer Kraft zu setzen. Unnachahmlich, witzig und manchmal auch ziemlich waghalsig halten die chilenischen Straßenartisten dem Publikum einen satirischen Spiegel der menschlichen Schwächen vor. Sie nehmen die Stadt auf ganz eigene Art unter die Lupe: mit einem Augenzwinkern und einem Tänzchen, verspielt und auf jeden Fall mit einer Mission und einer Vision.

"becoming peter pan - an epilogue to michael jackson"

nikolaus habjan & schubert theater wien (at)

  Michael Jackson am Höhepunkt seines Ruhms hat ihn nie interessiert, für den jungen österreichischen Puppenspieler Nikolaus Habjan wurde der polarisierende Star erst nach seinem Tod zu einer spannenden Figur. Mit einer Puppe des alternden King of Pop lässt Habjan in einer Inszenierung von Simon Meusburger den genialen Musiker erneut lebendig werden. "Becoming Peter Pan - an epilogue to Michael Jackson" beschäftigt sich mit einem Mann, der seine Kindheit nicht zurücklassen und sich nicht entscheiden kann, ob er Peter Pan oder der King of Pop ist. Er lebt in einer Anstalt und sieht die Bilder aus der Vergangenheit beider an sich vorbeiziehen, während sein Alter Ego ihn davon überzeugen will, an alte Erfolge anzuknüpfen und im Nimmerland noch einmal von vorne anzufangen. Ein faszinierendes Panoptikum des Schubert Theater Wien, das den Menschen hinter der Kunstfigur zeigt.

"visions of life"

samson ogiamien & theatre fragile (at/de/fr)

  Bildhauerei, Maskentheater und junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen treffen aufeinander: "Visions of Life" ist ein Konzept Samson Ogiamiens, mit dem der nigerianisch-steirische Künstler Jugendlichen die Möglichkeit geben will, ihre Visionen und Pläne auf künstlerische Weise zum Ausdruck zu bringen. Gemeinsam werden in mehreren Workshops Masken erarbeitet, die die Jugendlichen - begleitet und unterstützt vom Stefanie Oettl und dem Regieduo Marianne Cornil und Luzie Ackers des "Theatre Fragile" - selbst zum Leben erwecken. Da wird es im öffentlichen Raum mal behutsame, mal rasante Begegnungen geben, werden Wurzeln verstanden und Visionen entwickelt - und einst starre Masken plötzlich lebendig.

"ccc - closed circuit circus"

zweintopf (at)

  "Zu Ihrer eigenen Sicherheit wird dieser Bereich videoüberwacht." Waren es früher physische Mauern, die unwillkommene Menschen aussperrten und sie am Verweilen an gewissen Orten hinderten, werden heute andere Zugangsbeschränkungen in Kraft gesetzt - ausgelöst durch die Kameras über den Köpfen der Menschen, deren Macht, Reichweiten und Aufnahmewinkel für die meisten nicht nachvollziehbar sind. Mit Feingefühl und Präzision thematisieren "zweintopf" die zunehmende Kontrolle des öffentlich-städtischen Raums durch unsichtbare Augen in Kameraform. Ihre Installation macht Grenzen und Linien wieder sichtbar, bindet das Publikum aktiv in die sonst unsichtbare Kommunikation ein und lässt die Frage aufkommen, wer hier eigentlich hinter den Kulissen tätig wird, wer beobachtet, vergleicht, bewertet. Und vor allem, wofür?

"fanfare circa tsuica"

cheptel aleïkoum (fr)

  Die sorgfältige Ordnung klassischer Blaskapellen mit ihren geraden Linien und perfekten Formationen darf man getrost vergessen, wenn Cheptel Aleïkoum die Stadt erobert. Das wichtigste Ordnungsprinzip gilt für die Musiker wie fürs Publikum: "Nimm Dich nicht so ernst!" Die "akrobatische und gefährliche Brass Band" bringt ihre Zuschauer zum Klatschen, Tanzen, Lachen und Singen. Aber nicht nur das, sie ermutigt ausdrücklich auch zum Küssen all jener, die man gerade küssen will. Die Begleitmusik zum fröhlichen Herzen ist eine Mischung aus Balkanklängen und amerikanischem Jazz, um die herum die Instrumente und Körper der Musiker tanzen und eine unglaubliche Energie in die Straßen bringen.

"boots and roots"

les clandestines (fr)

  Was macht den Menschen und seine Heimat aus, was bringt ihn dazu, alles hinter sich zu lassen und in die Fremde aufzubrechen? Les Clandestines haben sich auf der Suche nach Antworten auf die Spuren der alten Lieder des amerikanischen Südens begeben. Sie zeigen in Melodien, Gedichten, Briefen und historischen Dokumenten, was hinter dieser Musik steht, die von der Wildnis, Vertreibung, dem Alltag und den Schwierigkeiten, in einer feindseligen Welt zu überleben, berichten. Die französischen Künstler verleihen der Musik und den damit verbundenen Geschichten des Mississippi-Deltas, Louisianas, Virginias und Tennessees Gesichter und Stimmen. Das Ergebnis ist eine mitreißende Performance mit Gitarren und Percussion, englischen und französischen Texten sowie vielfältigen Klängen vom Folksong bis zum Wiegenlied.

"hello and goodbye"

kunstlabor von unit (at)

  Menschen kommen an, Menschen gehen und hinter jedem Wohnortwechsel stehen Geschichten. Das ist in Liebenau nicht anders als sonst wo in der Welt. Wer fortgeht, trifft Entscheidungen: aus Thailand in die Slowakei, von Marrakesch nach Marseille, von Trofaiach nach Liebenau - nachher ist vieles nicht mehr, wie es vorher war. Das Kunstlabor Graz hat in ganz Europa Menschen befragt, die umgezogen, aus- oder eingewandert oder noch am Weg sind. Ihre Erfahrungen, Beweggründe und Geschichten stehen für einen Reality-Check zur Verfügung. In einer Tour durch den Bezirk stellen sich die Besucher jenen Fragen, vor denen auch die Protagonisten einst standen; ihre Entscheidungen beeinflussen den Verlauf der weiteren Ereignisse. Eine Reise, die die Schicksalsfragen anderer für den eigenen Weg relevant werden lässt und die Frage aufwirft, wie man selbst entschieden hätte.

"der räuber hotzenplotz"

handmaids berlin (de)

  Das lässt die Oma sich nicht gefallen: Da hat sich doch der Räuber Hotzenplotz ihre Kaffeemühle unter den Nagel gerissen - aber nicht mit ihr! Gemeinsam mit Kasperl und Seppl macht sich die entschlossene alte Dame auf Verbrecherjagd. Und begegnet dabei allerlei Abenteuern, dem bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann, einer verzauberten Froschfee und einem Unsichtbarkraut. Ob die Großmutter am Ende gegen den bösen Räuber die Oberhand behält, bald wieder ihren geliebten kalten Kaffee trinken kann und wie es eigentlich der Kaffeemühle in dem ganzen Drama geht, verraten die Berliner Künstler ihren Zuschauern ab vier Jahren ganz am Ende. Und ihren Eltern natürlich auch.

"wetta"

anna schrefl (at)

  Eine Choreografie für bewegte und bewegende Momente. Anna Schrefl verknüpft in ihrer Arbeit die Fähigkeiten und Ausdrucksformen aller Protagonisten äußerst sensibel miteinander. In der Performance über das gewaltige Phänomen "Wetter" vereint sie Tanz, Text und Musik. Tänzer und tanzbegeisterte Seniorinnen, die Mezzospranistin Anoki von Arx sowie ein Chor mit Studierenden der Kunstuniversität Graz unter der Leitung von Franz Jochum sorgen für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit einem Thema, das uns alle zutiefst berührt und sich unserer Kontrolle entzieht.

"-"

orchestre international du vetex (be)

  Sie ziehen ausgelassen durch die Straßen der Stadt: Das Orchestre International du Vetex mixt den Geist des Balkans mit den Farben Lateinamerikas, gibt dem Ganzen einen afrikanischen Touch und ein wenig mediterrane Inspiration. An seinem elften Geburtstag hat das Ensemble aus Frankreich und Belgien nichts von seiner wunderbaren Verrücktheit eingebüßt. Die virtuosen Musiker erobern die Straßen mit ihren Eigenkompositionen, mit spontanen Soli und mit einem lustvollen Mit- und Gegeneinander. Eine Mischung, die die Menschen zum Tanzen, Lachen und Singen bringt.

"mathilde"

neville tranter (nl)

  Seit über 30 Jahren steht Neville Tranter mit seinen lebensgroßen Puppen auf den Bühnen der europäischen Festivals und widmet sich in all seinen Stücken der zentralen Frage "Wie kann man überleben und zu welchem Preis?".
  "Mathilde" erzählt die Geschichte einer 102-jährigen Seniorin, die zwar eine lebendige Erinnerung an das hat, was vor 60 Jahren passiert ist, aber vergisst, wo sie gerade ihre Sachen hingelegt hat; während das Management ihres Altenheims sich der Frage widmet, wie es die Gewinne maximieren kann.

"quand quelqu´un bouge"

le collectif de la bascule (fr)

  "Wenn jemand sich bewegt, dreht sich die Welt schneller, werden die Begegnungen intensiver, und diejenigen, die still stehen, sagen, er flieht." Für das Collectif de la Bascule liegt in den Worten Jacques Brels ihre Vision des zeitgemäßen Zirkus. Neue Welten entstehen, die von schrillen Bühnen, anderen Leben, dem Bewegen und Balancehalten erzählen. Um ihre Visionen lebendig werden zu lassen, hat das französische Kollektiv eine Gibson aus Nashville, marokkanische Zirkusgeschichten und einen russischen Hypnotiseur im Gepäck. Mit dabei: Teppiche von ihren zahlreichen Reisen und die Gewissheit, dass es die Irrfahrten sind, die den Weg erst entstehen lassen.

"échappées belles, issue de secours"

compagnie adhok (fr)

  Der Notausgang des Altenheims steht offen und die sieben Senioren ergreifen die unerwartete Gelegenheit beim Schopf. In dieser humorvollen und poetischen Inszenierung machen sich die Échappées Belles - die schönen Ausreißer - auf, wieder in das pulsierende Leben da draußen einzutauchen und sich lebendig zu fühlen, auch wenn ihre Bewegungen schwerfälliger, ihre Erinnerungen lückenhafter und sie alle ein wenig gebrechlicher sind. Die Künstler der französischen Compagnie Adhok setzen sich mit den Fragen, Erfahrungen, Erinnerungen, Wünschen und Hoffnungen des Älterwerdens in einer Welt auseinander, die der Jugend huldigt. Und lassen die Revolution wieder neu beginnen.

"zwischen den tassen"

eléctrico 28 (at)

  An der Grenze zwischen Fiktion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart sowie Schauspielern und Publikum wird die Wahrnehmung für die wunderbare Theatralik des Alltags geschärft. Die Grazer Künstlerin Alina Stockinger nimmt ihr Publikum mit auf eine Stadtentdeckung, bei der nicht nur die Akteure an der Rückeroberung des öffentlichen Raumes teilnehmen. Und bald stellt sich die Frage, was ist hier Straße und was Bühne, wer sind hier Passanten und wer Protagonisten, was gehört hier noch zur Performance?

"the king"

stuffed puppet theatre (nl)

  In "The King, Downfall of a Superstar" folgt Tranter einem alternden Popstar, der seine besten Zeiten hinter sich hat und sich jetzt mit der Frage auseinandersetzen muss, ob ein Superstar wieder ein ganz normaler Mensch werden kann.
  Der holländische Großmeister des Puppenspiels erzählt in beiden Stücken "The King" und "Mathilde" die Geschichte seiner tragikomischen Figuren subtil-humorvoll und nimmt das Publikum mit in neue Welten.

"birdwatching 4x4"

benjamin vandewalle (be)

  Inszenierung oder Alltag? Protagonist oder Publikum? Wo die Poesie der Straße sichtbar wird, verschwimmen die Grenzen. Wer in Benjamin Vandewalles fahrendem Kubus Platz nimmt, begegnet völlig neuen Blickwinkeln, erlebt die Stadt als experimentellen Raum. Die Performance stellt das Publikum, die Öffentlichkeit und die Protagonisten im Wechselspiel von Enthüllung und Verschleierung auf eine Probe, durch die sich die Realität in bisher unbekannten Perspektiven zeigt. Eine sprichwörtlich völlig neu choreografierte Erfahrung der eigenen Stadt.

"open dance"

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  La Strada lädt zum Tanz, sperrt den Verkehr und verändert den Rhythmus der Stadt drei Tage lang von Grund auf. Bewegte Nächte erwarten die Grazer beim "Open Dance", wenn am ersten Abend das serbische Quinteto Beltango traditionelle und zeitgemäße Tangoklänge durch die Sommerluft wehen lässt. In der zweiten Nacht begibt sich das Ensemble Mas´ta gemeinsam mit Irina Karamarkovic und Daniel Doujenis auf eine künstlerische Zeitreise in das Griechenland des beginnenden 20. Jahrhunderts, um die Musik des Rebétiko, des "griechischen Blues", nach Graz zu bringen. Und am dritten Abend erobert das wunderbar-verrückte Orchestre International du Vetex die Kaiserfeldgasse.



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