"La Strada" 2006

  Von 28. Juli 2006 bis 5. August 2006 ging in Graz zum 9. Mal das internationale Festival für Straßen- und Figurentheater - "La Strada" - über die Bühne.
  An den 9 Veranstaltungstagen gab es lebhaftes Straßentheater, das mit Graz, seinen Straßen und seinen Bewohnern spielte.

(Texte © by "LaStrada, Graz")

"la dolce vita"

compagnie jo bithume - (fr)

  Was ist "La Strada"? Eines der vielseitigsten Straßen- und Figurentheaterfestivals in Mitteleuropa. Aber auch Federico Fellinis vielleicht schönster Film. Jetzt wurden die beiden eins: Zum Auftakt verschmolz Film und Festival zu einer lust- und poesievollen Beschwörung der Kunst, die ihr Publikum egal wo verzauberte - auf der Straße, auf der Bühne, im Kino. Zur Musik von Fellinis Compadre Nino Rota verwandelte sich das Eröffnungsfest von "La Strada" in einen Film, in dem das Publikum die Hauptrolle spielte - und der zum krönenden Abschluss des Abends gezeigt wurde.

"avec fraternité"

théâtre rouge - (fr)

  Eine seltsame Großfamilie, eine Fußballmannschaft, eine Schar verirrter Außerirdischer? Die 10 Komödianten des Théâtre Rouge fielen nicht nur durch Äußerlichkeiten auf. Kugelköpfig und schräg bedresst haben sie die Stadt erkundet und alles untersucht, was sie da vorfanden, auf seine Funktion und seine Tauglichkeiten - und das konnte durchaus auch einmal das Publikum sein. Mit subtilem Humor und ohne grelle Effekte zeigte das Ensemble aus Schau- und Puppenspielern unter musikalischer Begleitung einer Violine wie befremdlich und skurril das Altbekannte sein kann. Ergreifend, seltsam, wundervoll.

"autrement dit"

délit de façade - (fr)

  Eine Hausfassade wurde zur Theaterbühne, wenn zwischen den Stockwerken die Puppen tanzten: Oben wohnten nämlich die Bürger, unten die Underdogs - kein Wunder, dass es da oft ganz schön rund ging. Von Fenster zu Fenster kam es zu Streitereien, zu Lieb- und Schwangerschaften - zwei Generationen liebten, leideten, lachten im Angesicht der Fenstergucker. Effektreiches, rasantes Puppentheater, witziger als "Mundl", skurriler als "Die liebe Familie". Ein liebevoller, amüsierter Blick hinter die Fassaden des Menschseins.

"anda la banda"

la guardia flamenca - (be)

  Die "Flamencowache" sorgte dafür, dass der spanische Tanz der Tänze wieder dorthin zurückkehrte, wo er hingehört. Ursprünglich war der Flamenco nämlich eine schön räudige, blutvolle Angelegenheit der Straße und ihrer Bewohner. Erst später wurde er zur Kunstform für Konzertsäle verklärt. Die 12 jungen Europäerinnen zeigten, wie es wirklich geht: lustig, wild und ironisch, berstend vor Leben und durch und durch feminin. Rivalitäten wurden mit einem Augenzwinkern abgehandelt, und Sexiness, das zeigte sich hier, ist ein sehenswertes Spiel für Könnerinnen. Caramba!

"das frühstücksmärchen"

ensemble materialtheater - (de)

  Ein Muss für Morgenmuffel! Wie einander ein mürrisches Paar am Frühstückstisch zur Kommunikation verführte, war lustvolles, lustiges Objekttheater vom Feinsten. Krachfrisch die Gags, wenn sich die Serviette in einen kleinen Macho-König verwandelte und Messer und Semmel zu einem stolzen Ross mutierten. Im Brotkörbchenboot musste der Held den gefährlichen Tischtuchozean bezwingen, um die Prinzessin für sich zu gewinnen.

"wumm!"

studio percussion graz - (at)

&nbps; Der Schlag hat uns getroffen! Und zwar in Gestalt des jungen Drummers Aaron Thier, der uns seine Klanggebäude um die Ohren haute. "Wumm!" ist der programmatische Titel einer Produktion, für die das STUDIO PERCUSSION graz unter der Leitung von Günter Meinhart die Bühnenform des "Schlagzeugtheaters" erfunden hat: Das Instrumentarium wird zur Skulptur, die Bühne zu Installation. Weil "Wumm!" auch eine Metapher ist für alles, was uns plötzlich trifft, wird die Musik zum Bildergenerator: Videoprojektion und Kostümwechsel, Licht und Schatten sind Teil einer rasanten Inszenierung, die derzeit auf Tournee zu bewundern ist.

"the bizzarium: street aquarium"

les sages fous - (ca)

  Das Reich der Tiere ist voller Kreaturen, die die Wissenschaft noch nicht beschrieben hat - und nie beschreiben wird, entstammen sie doch der Phantasie der kanadischen Puppenkünstler von Les Sages Fous: Tief in den Ozean tauchten sie diesmal, und die Straßen der Stadt waren dafür das Sprungbrett. Es ging hinunter zu verliebten Fischen und einer geheimnisvollen Meerjungfrau, zu Seepferdchen und dreiarmigen Tintenfischen. Das waberte und blubberte, dass es eine Freude war. Quicklebendiges Straßentheater, spritzig, lustig und poesievoll.

"pop-up!"

slagman - (nl)

  Eine große Reisekiste ist der ganze Spielraum, den zwei grandiose Komiker für diesen rasanten Schlagabtausch benötigten. König und Narr, Prinz und Prinzessin, Räuber und Gendarm, Jäger und Hase versammelten sich zu einem skurrilen Kräftemessen, bei dem die rasanten Duelle nach und nach durcheinander gerieten. Ein Einfall jagte den nächsten, perfektes Slapstick-Timing sorgte für fassungsloses Staunen und unbändiges Gelächter. Virtuos dämlich!

"das wunder von bamba"

ensemble materialtheater - (de)

  Toto der Gute ist ein Waisenkind, das sich in der Gesellschaft von Außenseitern und Gescheiterten zu einem freundlichen und hilfsbereiten Menschen entwickelte. Als ihre Gemeinschaft von außen bedroht wurde, verlieh eine Fee Toto die Gabe, Wunder zu tun. Und plötzlich veränderte sich alles. Basierend auf Vittorio de Sicas Film "Das Wunder von Mailand" entwickelte das Ensemble Materialtheater aus dieser Situation ein poetisches, kraftvolles Drama, dessen subtiler Humor mit den Mitteln von Objektheater, Schauspiel und Körpertheater umgesetzt wurde. Großes Theater der Innenwelten.

"la fanfare"

compagnie jo bithume - (fr)

  Die furiose Straßenmusik-Theatershow "La Fanfare" der Compagnie Jo Bithume brachte tagelang die Stadt zum Klingen - 18 komödiantische Musiker paradierten durch die Gassen, und wer sich bis dahin nicht vorstellen konnte, wie Led Zeppelin oder Jimi Hendrix auf der Tuba klingen, konnte etwas fürs Leben lernen. Zum Beispiel, dass große Kunst auch einmal einfach Spaß machen darf.

"calle obrapia #4"

ex nihilo - (fr)

  Wenn die Gruppe die Straße zur Bühne macht, meint sie das wirklich ernst: Trottoirkanten, Fahrradständer, Haustüren, Schwellen, Fenstersimse wurden zur Ausstattung einer sehr körperbetonten, intensiven Tanzperformance, die die Architektur genauso konzentriert erforschte wie den menschlichen Bewegungsapparat. Drei Frauen und zwei Männer sah man wie im Flug sich umschlingen und auseinanderstieben. Durchdringende Körpererfahrung und hohe Musikalität kennzeichneten die Produktion, die mit und ohne Klang einen mitreißenden Takt vorgab. Intelligenz mit Bodenhaftung.

"le chariot"

baro d´evel - (fr)

  Es war eine seltene Mischung: Straßen-Zirkus, der noch dazu die Straße zu seinem Thema macht. Alles, was man auf der Straße so dabei hat - und manchmal auch zurücklässt - wurde im Vorübergehen zum Spiel-Zeug des virtuosen Franzosen. Ein Tässchen Tee, noch kaum benutzt, war da ebenso wichtig wie Zündhölzer oder ein Violoncello, mit dem sich auch prima jonglieren ließ.

"vampyr"

stuffed puppet theatre - (nl)

  Der unvergleichliche Neville Tranter ging diesmal unter die Vampire. Auf einem einsamen Campingplatz hoch oben im Norden gerieten ein Vater und seine halbwüchsige Tochter unter den Einfluss einer Welt jenseits unserer Vorstellungskraft. Schließlich war der Platz Heimstatt einer Untotenfamilie, deren jüngster Spross langsam in das Alter kam, in dem er seine erste Jungfrau beißen sollte. Gruselig, tragisch und komisch ist die trashig-wunderbare Geschichte, zu der sich Tranter von Hans Christian Andersen inspirieren ließ. Fesselnd, intelligent und voll ganz und gar nicht blutarmer Phantasie.

"1er round"

tango sumo - (fr)

  Nicht selten werden den kraftvollsten und schnellsten Helden des Boxrings quasi tänzerische Qualitäten nachgesagt. Wohl von diesem Pas de deux der Kämpfer inspiriert, luden Tango Sumo zum Tanz der Gegensätze in einen stilisierten Boxring. Perfekt choreographiert wurden Beziehungsmuster, Aggression, Revierverhalten von drei Tänzern durchexerziert, unterstützt von einem "Ringrichter" mit Akkordeon. Eine menschliche Komödie, grenzgängerisch auf ihrem Grat zwischen Tanz & Bewegungstheater, Spiel & Ernst, Freund- & Gegnerschaft.

"bechtout"

baro d´evel - (fr)

  Überlebt der Zirkus? Ja! Sagt, wer diese mehrfach preisgekrönte Produktion gesehen hat. Wie die teils blutjungen Absolventen der berühmten Clownsschule "Ecole Nationale des Arts du Cirque / Rosny-sous-Bois" hier ihre akrobatische Kunst, ihr handwerkliches Rüstzeug, ihre schauspielerischen und musikalischen Talente einbrachten, war schlichtweg berauschend. Zirkus, der Geschichten erzählt und dabei nicht auf sich selbst vergisst. Kleine Wunder im Alltäglichen, große Kunst und großes Glück erwarteten die Zuschauer, die dabei eine wunderbare Erfahrung machen durften: Nämlich die, dass sie das Staunen noch nicht verlernt haben.

"the seas of organillo"

stephen mottram - (gb)

  Der Ozean von Organillo: Ist er das Urmeer? Oder etwa der Mutterbauch? Ein Mann und eine Frau überquerten das Wasser, während rundum das Leben in einer Vielzahl eigenartiger Kreaturen explodierte - war das da drüben ein Oktopus oder ein weiblicher Eileiter? Elegant, sexy und tiefgründig erzählte Stephen Mottram die Geschichte von der Entstehung des Lebens und zugleich möglicherweise die Geschichte einer menschlichen Zeugung. Theater um die ältesten Wahrheiten des Lebens: Ihrem zauberischen Rhythmus konnte sich kein Zuseher entziehen.

"expedition paddock"

tango sumo - (fr)

  Fünf Männer in einem Schlafsaal, in deren Tag- und Albträumen die Welt ohne Türen und das Leben eine endlose Reise voller Schönheit und Angst ist. Beziehungsgeschichten um Machismo und männliche Sensibilität glitten choreographisch elegant und unter akrobatischen Einlagen hinüber in ein furios kreiselndes Bewegungstheater, in dem Betten sich in Trampolins und Türme verwandelten: In jedem Manne steckt ein Kind, und das spielte hier mit der Schwerelosigkeit.

"in suspension"

stephen mottram - (gb)

  Er ist der vielleicht diskreteste Puppenspieler der Welt und mit Sicherheit einer der größten Virtuosen dieser Kunst. Stephen Mottram hat eine völlig originäre Form von Animationstheater entwickelt; hier verrät er auf offener Bühne das Geheimnis wie das funktioniert. Sowas klingt eher technisch dürr. Dennoch geriet "In Suspension" zu einer gleichsam magischen Performance, als Mottram vor den Augen der Zuseher hinter seinen Figuren verschwand. Ein Theaterwunder für Erwachsene und Kinder.

"don quijote"

les alamas givrés - (fr)

  Endlich gab es ein Wiedersehen mit dem grenzgenialen Zeitraffertheater aus Frankreich. Die Welt von Alamas Givrés dreht sich mindestens doppelt so schnell - und diesmal um die fahrenden Helden Don Quijote und Sancho Panza. Jedwede Ähnlichkeiten mit literarischen Figuren war rein zufällig - zumal auf der rasenden Karussellbühne diesmal nämlich höchstens Pferd und Esel wirklich wussten, wo es lang geht. Barock´n´Roll, ein pralles Vergnügen.

"victor frankenstein"

compagnie jo bithume - (fr)

  Ein Schiffswrack, gefangen im ewigen Eis. Ein alter Mann schleppte sich an Bord, gefolgt von einem riesigen Schatten. Das Boot zerfiel - aber anstatt zu versinken, verwandelte es sich in einen Berg, in ein Labor, in ein Schloss ... Bildermächtig und voll lyrischem Impetus wurde hier die Geschichte vom Erfinder und seiner Kreatur noch einmal aufgerollt. Die grandiose Produktion "Victor Frankenstein" führt das Festival in sein Finale: "The End", schaurig-schön. Mit Stummfilmeffekten und Gags wie von der "Addams Family" geklaut. Akrobatisch, lyrisch, komisch. Große Show für großes Publikum.



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